Mehr Wertschätzung statt Verpflichtung – Freiwilligendienste stärken

Als Landesjugendwerk der AWO Sachsen-Anhalt e. V. fordern wir sowohl die Bundesregierung als auch die Landesregierung auf, Freiwilligendienste ausreichend finanziell auszustatten um noch mehr jungen Menschen dieses selbstbestimmte und freiwillige Engagement zu ermöglichen.

Einen Pflichtdienst für junge Menschen lehnen wir ab und setzt stattdessen klar auf Freiwilligkeit. Als Träger von Freiwilligendiensten stehen wir für ein selbstbestimmtes freiwilliges Engagement ein und sind überzeugt, dass die Freiwilligendienste wie FSJ und BFD dafür einen ausgezeichneten Rahmen bieten. Was wir wirklich benötigen, ist mehr Wertschätzung und Anerkennung für junge Menschen, die einen Freiwilligendienst leisten. Dieses freiwillige Engagement noch viel ernster zu nehmen, würde den Gemeinsinn stärken.

Dazu gehört, die Freiwilligendienste bedarfsgerecht auszubauen, wie es auch im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Aktuelle Überlegungen, die Haushaltstitel für die Freiwilligendienste ab 2024 um 20 % zu kürzen, passen hingegen nicht dazu.

Die Haushaltslage des Bundes ist – nicht zuletzt aufgrund der Folgen des Krieges in der Ukraine und der Corona-Pandemie- sehr angespannt. Das Bundesfinanzministerium hat den anderen Bundesministerien von daher hohe Sparauflagen gemacht. Der Bundeshaushalt 2024 beinhaltetet eine Mittelkürzung von 30 Millionen Euro für die Freiwilligendienste. Derzeit steht das Szenario im Raum, dass der Etat der im Jahr 2025 um weitere 35 Millionen Euro abgesenkt werden könnte.

Diesen Mittelkürzungen stehen drastisch steigende Programmkosten bei den Trägern gegenüber (steigende Personalkosten, steigende Kosten der Seminarhäuser…). Selbst bei einer Beibehaltung der Förderung auf dem Niveau von 2023 entstehen bei den Trägern aufgrund der Inflation schon große Haushaltslöcher. Bei einer Kürzung der Mittel würde sich dies noch verschärfen.

Mit Blick auf Sachsen-Anhalt würde eine weitere Kürzung der Fördermittel in Höhe von 10% in den Freiwilligendiensten ein Wegfall von ca. 200 Plätzen in sozialen Einrichtungen pro Jahr bedeuten. Die Senior*innen im Pflegeheim, die Patient*innen in den Krankenhäusern, die Kinder in Kita, Hort und Grundschule, die Menschen mit Behinderung in Wohnheimen und Werkstätten – sie alle profitieren von der engagierten Unterstützung durch Freiwillige. Ohne ihre helfenden Hände könnten zusätzliche Angebote zum Wohl der Klient*innen nicht mehr realisiert werden.

Den Vorschlag, junge Menschen sollten mit einem (sozialen) Pflichtjahr das Gemeinwohlproblem lösen, ist unverantwortlich und wird von uns entschieden zurückgewiesen. Jugendliche und junge Erwachsene kommen aus zwei Jahren Pandemie, in denen der Staat große Versäumnisse darin gezeigt hat, den Schulbetrieb vernünftig zu organisieren, die Digitalisierung voranzutreiben, Luftfilter zur Verfügung zu stellen, Bildungsbenachteiligung aufgrund von Armut entgegenzuwirken, psychologische Hilfe für in Krisen geratene Jugendliche in ausreichendem Maße zur Verfügung zu stellen usw. In einer Situation, in der gesellschaftliche Spaltung deutlich erkennbar und das demokratische Miteinander gefährdeter ist denn je, kann nicht an die Gemeinwohlverantwortung junger Menschen delegiert werden.

Die Befürworter einer Pflichtzeit führen an, wie prägend und erhellend die Erfahrungen in einem sozialen Dienst sind. Das ist zweifellos richtig. Solidarität und Gemeinsinn können aber nicht mit einem Pflichtdienst erzwungen werden. Der Ruf nach einem Pflichtdienst unterstellt, dass sich junge Menschen aus eigenem Antrieb nicht für das Gemeinwohl interessieren. Weder die Shell-Jugendstudien noch die Freiwilligensurveys geben Anhaltspunkte für einen solchen Befund. Wenn Menschen dazu gezwungen werden in Bereichen zu arbeiten, die ihnen nicht liegen, wird der Effekt vielleicht sogar abschreckend sein.

Die vielen Dienstleistenden in ganz Deutschland, zumeist sind es junge Menschen, erfahren gerade in der aktuell schwierigen Zeit die Möglichkeit, etwas Sinnstiftendes zu tun und sich persönlich weiterzuentwickeln. Zudem leisten Freiwilligendienste auch als Lernorte der politischen Bildung einen wertvollen Beitrag zur Demokratieförderung in Zeiten gesellschaftlicher Instabilität. Die Wissenschaft warnt mit Blick auf die Pandemie vor den langfristigen Auswirkungen einer „geraubten Jugend“, die gerade aufgrund ihrer psychischen Belastung und Vereinsamung ein Programm des Gemeinsinns und der pädagogischen Begleitung braucht. Die Rufe nach einer Dienstpflicht zeigen, dass in Politik und Öffentlichkeit nach Lösungen gesucht wird, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stützen. Die gesetzlich geregelten Freiwilligendienste leisten hier bereits einen zentralen Beitrag.

Jedes Jahr absolvieren rund 100.000 junge Menschen bundesweit ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), einen Bundesfreiwilligendienst (BFD) oder ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) und engagieren sich für das Gemeinwohl, für andere Menschen und auch für sich selbst, indem sie Erfahrungen sammeln, berufliche Orientierung und Stabilität gewinnen und dabei Selbstwirksamkeit erfahren. In den begleitenden Seminaren reflektieren die Freiwilligen ihre Erfahrungen und befassen sich intensiv mit der Frage, in welcher Gesellschaft sie leben wollen und was für das Gemeinwohl zu tun ist. Viele können sich nach dem Freiwilligendienst eine berufliche Zukunft im sozialen Bereich vorstellen.

Mit Sicherheit lassen sich noch mehr Menschen für ein FSJ oder eine BFD gewinnen. Dafür braucht es allerdings eine Verbesserung der Rahmenbedingungen sowie eine deutliche Steigerung der Bekanntheit und Wertschätzung. Sehr entscheidend ist, dass jede*r, die*der es möchte, sich einen Freiwilligendienst auch leisten kann. Viele Freiwillige kommen mit ihrem Taschengeld von zumeist 300,- € nicht über die Runden. Zudem sind sie auf den ÖPNV angewiesen und müssen dennoch in der Regel selbst für ihr Ticket zahlen – während Angehörige der Bundeswehr kostenfrei fahren. Dies sind nur zwei Beispiele, die zeigen, dass es Nachholbedarf in Bezug auf die Anerkennung und Wertschätzung für Freiwilligendienstleistende gibt.

Es geht darum, den Freiwilligendienst attraktiver zu gestalten und mehr Menschen die Möglichkeit zu geben, sich für ein freiwilliges soziales Engagement zu entscheiden.

 

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